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Warum Mennoniten nach Paraguay kamen


Alles beginnt mit einer Zufallsbegegnung

1920 lernte der damalige Staatspräsident Paraguays, Manuel Gondra, während einer Schiffspassage von New York nach Asunción einen amerikanischen Großgrundbesitzer und Geschäftsmann kennen. Samuel McRoberts, ein ehemaliger Offizier, suchte damals unbesiedeltes Territorium für einen Kunden, das Mennonitische Zentralkomitee (MCC), das seinen Sitz in Acron im US-Bundesstaat Pennsylvania hatte.

Dem MCC ging es darum, eine Lösung für die Probleme zu finden, die unter den Mennoniten in Kanada entstanden waren. Knapp ein Drittel der 18 000 Sektenmitglieder, die dort seit rund vierzig Jahren lebten, wollten sich nicht mehr den Auflagen beugen, die ihnen, wie allen Einwanderern, von den kanadischen Behörden gemacht wurden - sie wollten vor allem die obligatorischen Englischkurse nicht besuchen. Für die Anhänger der von Menno Simons gegründeten Sekte ist die Sprache überall auf der Welt (außer in den USA) bis heute ein entscheidender Aspekt ihrer Lebensweise: Innerhalb ihrer Gemeinschaften wird das so genannte Plautdietsche(6) gesprochen, während Deutsch als offizielle Verkehrs- und Schulsprache gilt.
Als Manuel Gondra erfuhr, dass Mexiko gerade 4 000 Mennoniten aufgenommen hatte, Argentinien aber solche Einwanderer nicht wünschte, weil sie das Tragen von Waffen ablehnen, dachte er sich wohl: Wie wäre es mit Paraguay?


Warum der paraguayische Chaco?

  • Chaco, wo jede Pflanze Stacheln trägt
  • Chacokriege
  • Besiedlung der Wildnis

Paraguay besteht aber nicht nur aus der Ballungszone um die Hauptstadt, in der 1,5 Millionen der knapp 6 Millionen Einwohner des Landes leben. Während der Osten, das Gebiet zwischen den Flüssen Paraguay und Parama, in den Konzepten einer nationalen Entwicklung wenigstens noch halbwegs vorkommt, spielt der Westen, das lange Zeit nur von einigen eingeborenen Stämmen besiedelte Gebiet des Chaco (das mit 247 000 Quadratkilometern / Vergleich: Deutschland 350 000/ immerhin mehr als die Hälfte des Staatsgebiets ausmacht) in den Vorstellungen, die die Paraguayer von ihrem Land haben, überhaupt keine Rolle.

Der Chaco - die meisten Paraguayer verbinden damit die Vorstellung von einem unwirtlichen, lebensfeindlichen Gebiet,(3) auf dem ein Fluch der Natur liegt, wo alle Pflanzen Stacheln haben, die durch Schuhe und Kleider dringen, wo es entweder kalt oder unerträglich heiß ist, wo sich Dürren und Überschwemmungen ablösen und wo es von Schlangen und Insekten wimmelt. Und doch ging vom Chaco stets eine Faszination aus, hat es viele Versuche gegeben, das Gebiet zu erschließen und zu besiedeln. Bevor man aus Australien neue Techniken der Sammlung und Speicherung von Regenwasser übernahm, war das zentrale Problem im Chaco der Wassermangel.

Sein Land hatte nämlich im so genannten Dreibundkrieg (Guerra de la Triple Alianza), einem fünf Jahre dauernden verheerenden Feldzug Uruguays gegen Paraguay (1865-1870), einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Nach dem Ende der Feindseligkeiten war die Einwohnerzahl auf 300 000 gesunken und das statistische Verhältnis von Männern zu Frauen betrug eins zu achtundzwanzig. Damals sagte man über Paraguay, es habe "Menschen ohne Land und Land ohne Menschen", die Nation brauchte also dringend einen Bevölkerungszufluss.

So spielten auch im Chaco-Krieg mit Bolivien (1932-1935) die logistischen Möglichkeiten für die Versorgung der Front mit Trinkwasser eine wichtige Rolle. Die bolivianische Luftwaffe flog nicht nur Angriffe auf die gegnerischen Truppen, sie hatte auch die Aufgabe, über den Stellungen der eigenen Verbände Eisblöcke an Fallschirmen abzuwerfen. Augusto Roa Bastos hat in seinem Roman "Menschensohn"(4) eindrucksvoll das Leiden der verdurstenden Soldaten beschrieben, die bei der Einnahme des Forts Boquerón durch die paraguayische Armee den "weißen Tod" starben, weil der ersehnte Tankwagen mit Wasser nicht eintraf. Die Eroberung dieser Festung (am 29. September 1932) leitete Paraguays Sieg in diesem Krieg ein und ist ein patriotisches Ruhmesblatt in der Geschichte des Landes - auch dies hat den Chaco zu einem mythischen Ort gemacht.(5)

Aber warum in aller Welt hat ein katholisches Land wie Paraguay seit den 1920er-Jahren in dieser Einöde (und später auch in anderen Landesteilen) Mitgliedern einer protestantischen Sekte, die vor 400 Jahren in Holland und der Schweiz entstand und seither stets verfolgt wurde, die Gründung von Siedlungen gestattet?

Die Mennoniten standen seit jeher im Rufe, gute Bauern zu sein, bereit zu harter Arbeit und einer Disziplin, die sich aus ihrem Glauben ergab, aus der bedingungslosen Unterordnung unter das Wort der Bibel. Auch Bolivien hatte bereits versucht, den Chaco in geostrategischer Absicht zu kolonisieren, und so führten die Ansiedlung der Mennoniten durch Paraguay und die (falsche) Vermutung von Ölvorkommen schließlich im Jahre 1932 zum Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern.
Das Parlament von Paraguay hatte im Juli 1921 das Gesetz Nr. 514 verabschiedet, das den mennonitischen Siedlern ganz außergewöhnliche Rechte gewährte: Sie mussten keinen Eid auf die Verfassung leisten, sie wurden nicht zum Militärdienst herangezogen, sie durften ohne Einschränkungen Deutsch als Schulsprache verwenden, sie konnten ihre eigene Verwaltung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Rentenversicherung einrichten, sie erhielten zehn Jahre Steuerfreiheit usw. Kritiker sprachen von einem Staat im Staate, übersahen dabei allerdings, dass es im Chaco nie eine Staatlichkeit gegeben hatte.


Woher kamen die Mennoniten?

Damit waren alle Voraussetzungen geschaffen für die drei großen Einwanderungsschübe, die vom Mennonitischen Zentralkomitee organisiert wurden und die Anhänger der Sekte zunächst ins Chaco und später auch in den Osten Paraguays führten.(7 )

Der erste Schub von Siedlern kam aus der kanadischen Provinz Manitoba und führte in den Jahren 1926 und 1927 zur Gründung der Kolonie Menno.

Dann wanderten mennonitische Opfer der stalinistischen Verfolgung aus der Ukraine und dem Amur-Gebiet ein, die zunächst nach China oder Deutschland geflohen waren, und errichteten 1930 die Kolonie Fernheim.

Zuletzt kamen noch Flüchtlinge aus Russland, die zum Teil den deutschen Truppen auf ihrem Rückzug gefolgt waren, dann aber von der Roten Armee gefangen genommen und interniert wurden. Sie siedelten sich 1947 in der Kolonie Neuland an.


Fußnoten:
(1) Siehe Bernard Cassen, "Limites de la transparence", Le Monde diplomatique, Juli 2001. Siehe auch www.transparency.org; im Korruptionsindex der Organisation von 1998 stand Paraguay noch an zweiter Stelle, nur übertroffen von Kamerun.
(2) In diesem Zusammenhang ist es bemerkenwert, dass sich im Juli auch in Paraguay - nach einem Besuch des Autors - eine Sektion der Attac-Bewegung gegründet hat (in Argentinien, Brasilien, Chile, Bolivien und Uruguay ist Attac bereits vertreten).
(3) Tatsächlich gibt es im Chaco über 400 Vogelarten und mehr als 100 Säugetierarten, darunter Tapire, Nabelschweine, Pumas und Bären.
(4) Augusto Roa Bastos, "Menschensohn", Frankfurt am Main (Fischer) 1994. Das spanische Original erschien 1960.
(5) Nach dieser Schlacht ist eine der drei Provinzen im Chaco benannt (im Chaco Medio, wo drei mennonitische Siedlungen liegen), die beiden anderen heißen Presidente Hayes und Alto Paraguay.
(6) Diese Version des Plattdeutschen ist geprägt durch die lange Isolierung in nicht deutschsprachiger Umgebung und deshalb ein interessantes Objekt für die Sprachforschung.
(7) Heute gibt es 17 mennonitische Siedlungen, 3 im Chaco und 14 im östlichen Landesteil, außerdem existiert eine Mennonitengemeinde in der Hauptstadt Asunción.

Alle vorhergehenden Texte dieser Seite aus: Le Monde diplomatique Nr. 6519 vom 10.8.2001, Seite 4-5,
Dokumentation BERNARD CASSEN - © Le Monde diplomatique

Literaturhinweis

Elisabeth - Der weite Weg
Elisabeth - Der weite Weg Niedergeschrieben von Rebekka Barg

Die eindrucksvolle Schilderung der Elisabeth Dyck gibt einen Eindruck, was viele der in der Kolonie Neuland angekommenen Mennoniten teilweise ebenso erlebt und erlitten hatten.

Elsiabeth Dyck erzählte ihrer Enkelin Rebekka Barg ihre Lebensgeschichte. Von der Geburt in Südrussland, trauriger Kindheit über die erzwungene Abwanderung aus der Heimat nach Polen. Weitere Stationen während und nach dem 2. Weltkrieg waren Ost- und Westdeutschland . 1950 schließlich die Auswanderung nach Paraguay, wo sie auch ihren Ehemann nach 6 Jahren Trennung wieder traf.

Weitere 60 Jahre im paraguayischen Chaco, die besonders in den Anfangsjahren äußerst hart und entbehrungsreich waren.

Anfang November 2010 verstarb Elisabeth Dyck im Alter von 93 Jahren.